Versicherungsschutz (Betriebsschließungsversicherung) bei Betriebsschließungen wegen Corona
Wegen der strengen Ausgangsbeschränkungen infolge der Corona-Situation steht Deutschland in nie gekanntem Ausmaß still. Die von Öffnungsverboten betroffenen Gaststätten und Verkaufsbetriebe kämpfen um ihre Existenz, da die Betriebsausgaben vielfach weiterlaufen. In den Medien gerät das Thema Betriebsschließungsversicherung zunehmend in den Fokus. Ein Grund, hier die wesentlichen Grundlagen zu klären und – trotz aller Existenzängste – zur Versachlichung beizutragen.
Multi-risk-Policen
Hinsichtlich der Betriebsausfallschäden stellen sich Fragen nach einer ggf. abgeschlossenen Betriebsunterbrechungsversicherung oder Betriebsschließungsversicherung. Diese sowie die Betriebsausfallversicherung fallen unter den Oberbegriff der Multi-Risk-Policen. Die Betriebsunterbrechungsversicherung wird hisnichtlich der Corona-Krise leider keinen Versicherungsschutz gewähren, weil hier stets auf Sachschäden abgezielt wird, also Schäden durch klassische Gefahren, wie Feuer, Sturm oder Überschwemmung.
Betriebsschließungsversicherung
Umfangreichen Versicherungsschutz gegen eine Infektionswelle durch den Coronavirus bieten jedoch Betriebsschließungsversicherungen. Vielfach wird von Versicherern aber aktuell behauptet, dass Corona nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei.
Corona nicht vom Versicherungsschutz umfasst?
Man bezieht sich dabei in aller Regel auf das deutsche Infektionsschutzgesetz (IfSG). In den meisten Versicherungsverträgen ist nämlich vereinbart, dass der Versicherungsschutz gegen Betriebsschließungen nur solche Infektionen erfasst, die im IfSG ausdrücklich genannt sind. Das IfSG ermächtigt den Staat zu Maßnahmen, welche der Prävention und Eindämmung bestimmter meldepflichtiger Krankheiten dienen. Diese Krankheiten sind in § 6 und 7 IfSG genannt. Es handelt sich dabei um so schillernde Krankheitsbilder wie z.B. Cholera, Milzbrand, Pest oder Tollwut. Aber auch Röteln oder Windpocken sind erfasst. § 30 IfSG erlaubt dabei sogar die Verhängung von Quarantäne-Maßnahmen über betroffene Personen. In § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG ist aber auch die Formulierung enthalten wonach das Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist.
Die Versicherer „argumentieren“ nun, dass das aktuelle Corona-Virus nicht in dieser Auflistung enthalten sei. Tatsache ist, dass das Bundesministerium für Gesundheit erst mit der CoronaVMeldeV vom 30.01.2020 den Anwendungsbereich des IfSG erweiterte auf eben diesen neuartigen Corona-Erreger. Erst auf dieser Basis waren Betriebsschließungen wegen Corona überhaupt möglich.
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft GDV führt auf seiner Hompage www.gdv.de wie folgt aus:
„Generell tritt die Betriebsschließungsversicherung ein, wenn im versicherten Betrieb selbst Krankheiten oder Krankheitserreger auftreten und die zuständige Behörde die Schließung anordnet. Beispiele dafür sind der Salmonellenbefall in der Eisdiele, eine Norovirus-Erkrankung bei Hotelangestellten oder Coli-Bakterien in der Metzgerei.
Das heißt: Infektionsschutzgesetz und Versicherungsschutz gehen in der Regel von einer behördlichen Einzelverfügung aus, die auf die Krankheit oder den Krankheitserreger im betroffenen Betrieb abstellt. Eine Pandemie oder die Schließung eines von Krankheit nicht betroffenen Betriebes aus Gründen der allgemeinen Sicherheit fallen üblicherweise nicht darunter. Die Betriebsschließungsversicherung ist daher in der Regel keine Pandemiedeckung.“
Unterschiedliche Ansichten der Versicherer zum Thema Betriebsschließungsversicherung
So ganz sicher sind sich die Versicherer aber selbst nicht und verweisen stets auf eine individuelle Einzelfallprüfung. Unter https://www.demv.de/artikel/coronavirus-gewerblicher-versicherungsschutz-bei-betriebsschliessung einer Webseite der DEMV Deutscher Maklerverbund GmbH wird derzeit ständig aktualisiert eine Übersicht über Versicherer dargestellt, die eine Deckung im Rahmen der Betriebsschließungsversicherung ablehnen oder gewähren. Ausdrücklich formuliert wird dort (Stand 01.04.2020) wie folgt:
„Viele namhafte Versicherer bieten allerdings keinerlei Leistungen an, dies betrifft etwa AIG, ERGO, Gothaer u.v.m. Grund ist, dass viele Versicherer in den Betriebsschließungs-Versicherungsbedingungen nur Krankheiten und Erreger zugrunde legen, die in einem Grundsatzbeschluss aus 2008 festgehalten wurden. Lediglich für diese Auswahl bekannter Viren wird daher Versicherungsschutz gewährt, weshalb dementsprechend für das aktuelle Corona-Virus der Ausschluss gilt.“
Kundenfreundlich verhalten sich derzeit die Versicherer HDI und Signal Iduna. Wegen der Bayerische Initiative vom 03.04.2020 (siehe unten) mittlerweile auch die Haftpflichtkasse VVaG, die Versicherungskammer Bayern und die Allianz Versicherungs-AG.
Wortlaut der Versicherungsverträge maßgeblich
Tatsächlich kommt es für den Versicherungsschutz auf den Wortlaut des Versicherungsvertrages und dort insbesondere der Risikobeschreibung an.
Manche Versicherungsbedingungen nennen ausdrücklich einen Katalog von Krankheiten, die sich regelmäßig an der Aufzählung in § 6 IfSG orientieren. Zu berücksichtigen sei dabei der Stand des IfSG zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift. Folglich dürfte in diesen Fällen in aller Regel der Coronoavirus nicht in den Versicherungsbedingungen bei Betriebsschließungsversicherungen enthalten sein.
Maßgeblich für den Versicherungsschutz hinsichtlich coronabedingter Betriebsschließungen ist daher stets der konkrete Wortlaut.
Klauseln unwirksam?
Teilweise wird in Versicherungsbedingungen wie folgt formuliert:
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
Danach folgt eine Aufzählung, die auf den ersten Blick der Aufzählung in den §§6 und 7 IfSG entspricht. Dies ist jedoch nicht der Fall. Einzelne Krankheiten sind nicht genannt.
Man mag sich hier die Frage stellen, ob nicht eine Unwirksamkeit wegen §307 BGB (überraschende Klausel) vorliegt. Warum wird nicht einfach formuliert, dass man sich zwar an §§6 und 7 IfSG orientiert, von der Aufzählung aber abweicht und nur folgende Krankheiten oder Krankheitserreger als vom Versicherungsschutz umfasst ansieht. Nein, dies wird gerade nicht gemacht. Die Versicherer beziehen sich auf die genannten Paragraphen und nehmen dann ohne jegliche Kennzeichnung einzelne Krankheiten aus der gesetzlichen Aufzählung heraus. Einer solchen Formulierung wohnt daher eine gewisse Überrumpelungsgefahr inne, was sie zur intransparenten und damit unwirksamen Klausel macht. So jedenfalls unsere Auffassung.
Entscheidung des Landgericht München I vom 01.10.2020!
So sieht es das Landgericht München I mit seiner bundesweit für Aufsehen sorgenden Entscheidung vom 01.10.2020 (Az. 12 O 5895/20) wohl auch und verurteilt die Allianz zu einer Entschädigungsleistung von 1.014.000,00 € aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung.
Nach dem LG München I ist die betreffende Klausel intransparent und deshalb unwirksam. Das Gericht formuliert wie folgt:
„Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe“
Diesen Anforderungen werden die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Allianz aber nicht gerecht, denn der Versicherungsnehmer gehe auf Basis der Formulierung in den AVB davon aus, dass umfassender Versicherungsschutz bestehe und sich dieser mit dem des IfSG decke. Das Landgericht München I formuliert insofern wie folgt:
„Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent“
Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGH, Urteil vom 23.06.1993, Az. IV ZR 135/92). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen (BGH, Urteil vom 25.07.2012, Az. IV ZR 201/10).
Es gilt daher zu prüfen, ob die Versicherungsbedingungen dynamisch formuliert sind, also anzunehmen ist, dass diese sich fortentwickeln auf evtl. bisher unbekannte Erscheinungen, wie den aktuellen Coronavirus. Dies ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln. Denkbar wären hier Formulierungen, die sich auf das jeweils gültige IfSG beziehen.
Gefahrerhöhung – § 23 VVG
Teilweise berufen sich die Versicherer aktuell auch auf § 23 VVG (Gefahrerhöhung). Absatz 3 besagt folgendes:
(3) Tritt nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers eine Gefahrerhöhung unabhängig von seinem Willen ein, hat er die Gefahrerhöhung, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen.
Die objektive Gefahrerhöhung muss dem Versicherer unbekannt gewesen sein. Dies ist ausweislich der Berichterstattung zu Corona nicht der Fall.
Zu bedenken ist schließlich, ob die Versicherungsbedingungen einen Pandemie-Risikoausschluss (WHO-Skala 5 bis 6) vorsehen.
Ausblick
Aktuell ist eine generelle Blockadehaltung vieler Versicherer hinsichtlich der Einstandspflicht bei Betriebsschließungsversicherungen zu beobachten. Dies mag mit der Befürchtung zusammenhängen, dass die Corona-Pandemie möglicherweise zu einem nicht mehr versicherbaren Ereignis (so der GDV) führt und die Versicherungswirtschaft hier zunächst Zeit gewinnen will. Dieser „Zeitgewinn“ der Versicherer mag aus deren Sicht nachvollziehbar sein, berührt aber die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Betriebe. Es ist daher ein angestimmtes Verhalten notwendig, das Fragen des Mietvertrages, die Beantragung von staatlichen Soforthilfen (Ihr Steuerberater weiß bescheid) und die Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen vorsieht.
Gerne stehen wir Ihnen für eine individuelle Beratung zur Verfügung. Auch können wir auf ein Netzwerk an Steuerberatern zurückgreifen, die wirtschaftliche Fragestellungen bis hin zur insolvenzrechtlichen Beratung abdecken können. Sollten Sie weiterhin Mietzahlungen zu leisten haben können wir Sie auch hinsichtlich Gewerbemietrecht unterstützen.
Beachten Sie aber in jedem Fall ggf. bestehende Obliegenheiten in Ihrem Versicherungsvertrag. Werden diese nicht befolgt droht möglicherweise ein Leistungsausschluss.
Konkret und aktuell
Aktuell wird von einem großen Versicherer einen Abfindungsvereinbarung an seine Kunden versandt. Enthalten ist eine Klausel, wonach mit der entspr. Zahlung („Bayerische Lösung“ – siehe unten) sämtliche Ansprüch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie abschließend erledigt sind.
Besonders explosives Potential hat dabei folgende Formulierung:
„Dies gilt auch für etwaige zukünftige Entwicklungen in direktem und indirektem Zusammenhang mit „Corona-Virus SARS-CoV-2 / Covid-19″, z.B. erneute Verfügungen bzw. Anordnungen, auch bezüglich neuer Ausbrüche von Covid-19 oder Mutationen hiervon.“
Wir könne nur dringend davon abraten, eine solche extrem weitreichende (Abfindungs-) Klausel zu unterzeichnen. Es ist davon auszugehen, dass uns die im weitestens Sinne Corona-Problematik noch Jahre begleiten wird. Man stelle sich vor, dass die Gastronomie wieder öffenen darf, jedoch in einem Betrieb zu einem späteren Zeitpunkt ein Corona-Fall auftritt und konkret dieser Betrieb unter Quarantäne gestellt wird. Nach dem Wortlaut dieser Klausel wären daher sämtliche Ansprüche gegenüber der Versicherung abgegolten. Wahrscheinlich gibt es für diesen Fall keine Nothilfen vom Staat und diese Betriebsschließung wirkt sich ggf. weitaus schlimmer auf den Gastronomiebetrieb aus, als dies für das Frühjahr 2020 der Fall war. Was dann?
Bayerische Lösung vom 03.04.2020
In Bayern kam es auf Veranlassung des Bayerischen Wirtschaftsministeriums zu einer gemeinsamen Initiative. Am 03.04.2020 wurde ein Dokument von der Haftpflichtkasse VVaG, der Versicherungskammer Bayern, der Allianz Versicherungs-AG, der DEHOGA Bayern, der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e.V. sowie dem bayerischen Wirtschaftsministerium eine gemeinsame Initiative unterzeichnet. Weitere Versicherungsunternehmen dürften sich dieser Initiative anschließen.
Der DEHOGA Bundesverband sowie andere Landesverbände waren über diese Initiative im Vorfeld dieser Initiative durch die o.g. Partner nicht informiert, weshalb die DEHOGA Bundesverband davon ausgeht, dass diese Regelung keine bundesweitere Relevanz besitzt.
Dies mag so sein. Es handelt sich vorliegend auch nur um eine Initiative unter der Federführung des bayerischen Wirtschaftsministers um die Blockadehaltung der Versicherer an dieser Stelle aufzubrechen und um betroffenen Betrieben zunächst überhaupt finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.
10 bis 15 % des vereinbarten Tagesentschädigung
Der gemeinsame Vorschlag sieht vor, dass die Versicherer zwischen 10 und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen jeweils vereinbarten Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten und Hotels auszahlen. Die Versicherer werden sich nunmehr an die betroffenen Betriebe wenden und anbieten, „freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Dauer der vereinbarten Haftzeit eine Zahlung von 10 bis 15 Prozent der jeweils vereinbarten Tagesentschädigung“ zu leisten. Zur Höhe äußert sich das Staatsministerium für Wirtschaft in Bayern wie folgt:
Unter Berücksichtigung der statistischen Durchschnittswerte für die Zusammensetzung der Betriebsaufwände im Hotel- und Gaststättengewerbe reduziert sich durch zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen aus Bund und Land sowie durch die ersparten Aufwendungen (zum Beispiel für Materialkosten) der wirtschaftliche Schaden eines Unternehmens im Durchschnitt um rund 70 Prozent. Im Hinblick auf die verbleibenden Einbußen (ca. 30 Prozent) sind die Versicherer bereit, einen freiwilligen Beitrag zu leisten und ihren Kunden hierdurch kurzfristig weitere Liquidität zur Verfügung zu stellen.
Quelle: https://www.stmwi.bayern.de/presse/pressemeldungen/pressemeldung/pm/43349/
Bedenken Sie, dass dadurch kein Versicherer aus seiner vertraglichen Haftung iRd Betriebsschließungsversicherung entlassen ist; es sei denn, dass eine Abfindungsklausel unterzeichnet wird. Bitte achten Sie darauf, keinen solchen Verzicht auf weitere Ansprüche etc. zu unterzeichnen ohne sich vorher damit auseinandergesetzt zu haben.
Fazit
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, vor der das Hotel- und Gaststättengewerbe steht, mag man sich die Frage stellen, ob eine langwierige juristische Auseinandersetzung in einem vernünftigen Verhältnis zum möglichen Ertrag steht. Der Spatz in der Hand kann aktuell für den ein oder anderen die bessere Alternative sein, da die volle Energie, Kraft und Kreativität aktuell in den Betrieb gesteckt wird. Gerne unterstützen wir Sie bei der Entscheidungsfindung.